Alles dreht sich um Ihre Sicherheit. Wir schützen Österreich!

Mit diesem aktuellen Slogan, will das Bundesheer seine Bedeutung für die Bevölkerung unterstreichen. Man kann es aber auch wahlweise als Schlachtruf oder als Marketingstrategie verstehen.

Redaktion: Peter Baumgartner.

Im Werbeslogan, der aktuell breit gestreut in den Medien auftaucht, ist ein Militärhubschrauber in der Luft zu sehen. Am Bergeseil hängt ein Soldat. In seinem Arm hält er ein kleines Kind fest, das unzweifelhaft zu der am Boden, unter dem Heli, laufenden Frau gehört. Verdeckt von der Heeres Graphik, kann man die Szene am Boden nur erahnen. Von der jungen Frau mit wehenden Haaren sind auch nur der Kopf und ein Teil des Oberkörpers sichtbar. Sie lässt die Szene in der Luft jedoch nicht aus den Augen. Man erkennt sofort: Das Bundesheer befindet sich in einem Hilfseinsatz. Dafür und für zahlreiche andere Aufgaben ist das Bundesheer da, lautet die Botschaft. Welche Grundvoraussetzungen sind notwendig, damit das Heer seine Aufgaben erfüllen kann „Ich gelobe, mein Vaterland, die Republik Österreich, und sein Volk zu schützen und mit der Waffe zu verteidigen. Ich gelobe, den Gesetzen und den gesetzmäßigen Behörden Treue und Gehorsam zu leisten, alle Befehle meiner Vorgesetzten pünktlich und genau zu befolgen und mit allen meinen Kräften der Republik Österreich und dem österreichischen Volke zu dienen.“


Wenn die Wehrpflichtigen in Österreich die Hürde der Wehrtauglichkeit genommen haben, dürfen sie ein Gelöbnis ablegen und damit ihren Dienst für Österreich und dessen Volk antreten. Dieser Dienst umfasst zunächst die im Artikel 9a der Verfassung beschriebenen, umfassenden Landesverteidigung. Ihre Aufgabe ist es demnach, die Unabhängigkeit nach außen sowie die Unverletzlichkeit und Einheit des Bundesgebietes zu bewahren, insbesondere zur Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität. Hierbei sind auch die verfassungsmäßigen Einrichtungen und ihre Handlungsfähigkeit sowie die demokratischen Freiheiten der Einwohner vor gewaltsamen Angriffen von
außen zu schützen und zu verteidigen.

Mit der umfassenden Landesverteidigung meint die Verfassung jedoch nicht nur die militärische Landesverteidigung, sondern auch die geistige, die zivile und die wirtschaftliche Landesverteidigung. „Es gibt immer was zu tun“, könnte man da einen Baumarkt-Slogan abgewandelt anwenden – die zahlreichen Verpflichtungen in der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union noch gar nicht miteingerechnet. Damit das Bundesheer diese gewaltige To-do-Liste abarbeiten kann, braucht es ein Grundverständnis für das Heer, das es anscheinend nicht gibt – noch nie gegeben hat. Das ist jedenfalls der Eindruck der entsteht, wenn man die veröffentlichte Meinung zahlreicher Experten wertfrei verfolgt.

An dieser Stelle geht es nicht um Geld und Budget, eigentlich beginnt es ja schon damit, dass die Verpflichtung zur Gehorsamkeit und Befehlsausführung schon von jenen nicht ernst genommen wird, die das auch von Rekruten einfordern. Wenn hohe und höchste Militärs ihren vorgesetzten Ministern über die Medien ausrichten, dass sie alles falsch machen, fehl am Platz sind oder gar als Lügner enttarnt werden. Wenn das Heer insgesamt als desolat, degeneriert und konkursreif dargestellt wird, dann hat die Befehlskette in der Firma Bundesheer ein grundsätzliches Problem. Wenn der Vorarlberger Militärkommandant, bestimmt erfahren in Hüsli bauen meint, das Heer ist eine schiefe Holzhütte und wenn der oberste Offiziersvertreter gar behauptet, das Bundesheer wird verfassungswidrig behandelt, dann sollte eigentlich „Alarmbereitschaft“ herrschen.

Stimmt nur die Hälfte der von Experten erhobenen Vorwürfe, die seit Jahrzehnten über die Medien gespielt werden, stellt sich die Frage, was macht die Parlamentarische Bundesheerkommission, was macht der Nationale Sicherheitsrat, was macht der Oberbefehlshaber des Heeres, um die verfassungsrechtlich verankerten Verpflichtungen des Bundesheeres zu garantieren? Immerhin sind auch sie auf die Verfassung vereidigt. Wie sollen Bürger und insbesondere junge Staatsbürger die geistige Landesverteidigung verinnerlichen, wenn sie tagtäglich aus den Medien hören, wie die militärische und politische Führung des Heeres versagt und die Verfassung mit Füßen getreten wird? Neben dem Grundverständnis, das es braucht, um eine Organisation wie das Bundesheer mit seinen vielfältigen Aufgaben am Leben zu erhalten, braucht es noch lange vor der finanziellen Ausstattung auch eine politische Kontinuität – fernab jeder Parteipolitik. Beides fehlt offensichtlich bis zur Stunde.

Das Bundesheer braucht ein positives Grundverständnis, eine politische Kontinuität und die finanzielle Absicherung – in genau dieser Reihenfolge.

Ein Rückblick: Begonnen hat das schon mit Minister Ferdinand Graf, der trotz Akzeptanz bei den Offizieren an der ersten Bewährungsprobe (Ungarnaufstand) gescheitert ist. Karl Schleinzer, der loyale ÖVP-Parteifunktionär, hat dem „Ruf der Partei Folge geleistet“ und im noch ganz jungen Verteidigungsressort schon die ersten umstrittenen Reformen eingeleitet, bevor er genauso folgsam in das Landwirtschaftsressort übersiedelte und die Stafette seinem Nachfolger Georg Prader übergab. Der Kriegsinvalide, verschaffte sich beim Heer Respekt – und häufte neue Probleme an. Der Brigadier Johann Freihsler konnte mangels politischen Rückhaltes erst gar nicht mit der Arbeit beginnen und musste sich schließlich bereits nach einem Jahr, gesundheitlich den Aufgaben nicht gewachsen, geschlagen geben.

Bei Karl Lütgendorf, der als aktiver General sogar von der SPÖ zum Verteidigungsminister gemacht wurde, machte sich erstmals die wirtschaftliche Bedeutung des Bundesheeres bemerkbar. Als parteiloser Experte hätte der adelige Lütgendorf die besten Voraussetzungen für eine glanzvolle Zukunft als Heeresminister gehabt. Übrig geblieben ist die Steyr-Waffenaffäre und die Lucona-Geschichte. Beides peinliche Erbschaften, die auch international Aufmerksamkeit fanden. Dafür legte Lütgendorf die Budgetlatte so hoch, dass niemand auch nur ansatzweise an eine Zielerreichung glaubte. Lütgendorfs unfreiwilliger und unehrenhafter Abgang, brachte Otto Rösch, ebenso unfreiwillig als Nachfolger. Rösch, der auch Terroristen gegenüber einem freundlichen Auftreten huldigte, scheiterte am Versuch, sich mit den Offizieren auch mit weniger Budgetmittel zu arrangieren.

Mit Friedhelm Frischenschlager kommt dann erstmals ein FPÖ Kandidat in das Heeresministerium, der hauptsächlich mit seiner Jugendlichkeit im Heer punkten konnte. Inhaltlich hatte er als 7. Verteidigungsminister bereits zahlreiche Baustellen und Verlassenschaften zu organisieren – ohne tiefgreifende Erfolge. Frischenschlager wurde von Helmut Krünes abgelöst. Und der konnte gerade feststellen, dass es viele Baustellen gibt. Zum Arbeiten kam er nicht, weil seine Amtszeit bereits nach einem Jahr endete.

Dann folgte „Draken-Robert“ Lichal. In seiner Amtszeit sind die Draken in Österreich gelandet. Er ist der erste Minister, der nie gedient hatte (Weißer Jahrgang). Dafür konnte er aber zahlreiche martialische Titel auf sich vereinen und so Wehrhaftigkeit demonstrieren. Lichal zeichnete für die Verankerung der Milizstruktur in der Verfassung verantwortlich. Genau hier dürfte ein grundlegender Systemfehler liegen, der bis heute andauert und Zündstoff bietet: Wer oder was ist wichtiger, die Armee oder die Miliz? Abgesehen von diesem Sprengstoff hinterließ Lichal den ungeklärten Oerlikon-Skandal. Seinen Nachfolgern attestierte er fortdauernden Verfassungsbruch in Bezug auf das Bundesheer.

Danach folgt der „untaugliche“ Werner Fasslabend (1990) und blieb für zehn (!) Jahre Verteidigungsminister, obwohl oder grade, weil er Gewalt verabscheute. Tatsächlich änderte sich die politische Landkarte in Europa unter seiner Amtszeit wesentlich (Zerfall Jugoslawiens). Der einzige Einsatz für Fasslabend war jedoch nur eine jugoslawische MIG 21, die ein kroatischer Kriegsflüchtling in Klagenfurt landete und in Verwahrung genommen werden musste. Zurückgegeben wurde der Jet übrigens erst wieder unter Minister Kunasek (2019). In seiner langen Amtszeit als Verteidigungsminister hat Fasslabend viel Zeit für Änderungen gehabt (Verwaltungsreform, Anpassung der Heeresgliederung, Ausbildungsreform). Dennoch bestehen heute noch immer die grundlegenden Probleme. Immerhin hat Fasslabend eine Modernisierung des Waffensystems eingeleitet. Sein Wunsch zur Nato-Mitgliedschaft blieb unerfüllt, aber 1995 wurde die Nato-Partnerschaft beschlossen.

Fasslabend, Verteidigungsminister in der ersten EU-Ratsvorsitz Periode Österreichs, setzte sich erstmals für die aktive Beteiligung Österreichs an der Europäischen Sicherheitspolitik ein. Übrigens haben bisher nur die Minister Lichal und Fasslabend den höchsten Militärorden erhalten. Herbert Scheibner übernimmt als nächster das Ministeramt und der FPÖ Mann, innerparteilich Brutus genannt, scheint beste Eigenschaft für strategische (Selbst)Verteidigung zu besitzen. Am 13. November 2000 unterzeichnet Österreich in Marseille ein Memorandum of Understanding mit der Westeuropäischen Rüstungsgruppe (Western European Armaments Group – WEAG). Am 6. Oktober 2000 fällt die Entscheidung für den Ankauf von 9 Black Hawk-Hubschraubern. In Scheibners Amtszeit fällt auch die umstrittene Typenentscheidung für Eurofighter. Dass er nach seiner Amtszeit eine lukrative Geschäftsbeziehung mit dem Konzern hatte, war und ist für ihn kein Problem.

Danach kam Günther Platter (2003-2007) zum Heer. Im Juni 2003 wurde beschlossen, dass 18 Eurofighter angeschafft werden und am 1.7.03 wurde der Kaufvertrag unterschrieben. Platter legte jedoch nachträglich Wert darauf, dass nicht er, sondern die Experten im Haus alle Verhandlungen geführt haben. Warum auch sollte er sich selber darum kümmern? Ging ja „nur“ um zwei Mrd. Euro. Am 22. November 2004 EU-Verteidigungsministertreffen: Minister Platter bekundet die Absicht der Teilnahme an EU-Gefechtsverbänden. Unter seine Führung fällt auch die umstrittene Reduzierung der Wehrpflicht von 9 auf 6 Monate. Ein Ergebnis der, von Platter eingesetzten, Bundesheerreform-Kommission unter Helmut Zilk (Bundesheer 2010).

Der erste Zivildiener als Verteidigungsminister wurde Norbert Darabos (2007-2013). Die erste Eurofigter-Landung in Österreich am 12.7.07 konnte er zwar nicht mehr verhindern, aber der Steuerzahler kann sich bei ihm bedanken, dass von den geplanten 18 Abfangjägern „nur“ 15 gekauft wurden. Darabos, der von sich selber als Störfaktor im Ministerium sprach, machte sich mehrfach unbeliebt. Wenn er zum Beispiel rechtsextreme Tendenzen im Bundesheer bekämpfte oder gar gegen die US-Verteidigungspolitik ins Feld zog. Zu seinem Intimfeind wurde Generalstabschef Edmund Entacher, als Darabos die Abschaffung der Wehrpflicht und Einführung eines Berufsheeres plante. Sein Plan scheiterte nicht nur am fehlenden politischen Rückhalt, sondern letztlich am negativen Ergebnis der entsprechenden Volksbefragung (fast 60 % votierten für die Beibehaltung der Wehrpflicht). Im Tschad leistete das Bundesheer unter Darabos einen humanitären Hilfseinsatz. An der ung./slov. Grenze wird der Grenzeinsatz nach 21. Jahren eingestellt. Ab Jänner 2011 ist das Bundesheer mit rund 180 Soldatinnen und Soldaten für sechs Monate an der EU-Battle Group beteiligt. Dem SPÖ-Parteisoldat Darabos folgt der (SPÖ) Parteisoldat Gerald Klug (2013- 2016). Bisher hauptsächlich durch seine „Situationselastizität“ aufgefallen, wird er von der bereits 2014 einsetzenden Flüchtlingskrise überrascht.

Erst im September 2015 werden 2.200 Soldaten zur Bewältigung der Flüchtlingskrise eingesetzt. Generalstabchef Entacher: Unter Klug werde Österreich „innerhalb der europäischen Sicherheitspolitik unzuverlässig, unbrauchbar und unsolidarisch.“ Im Dezember lässt sich Klug von der Innenministerin zur Errichtung „baulicher Maßnahmen“ überreden. Der „Wehrdienst NEU“ soll eine bessere militärische Ausbildung bringen. Das „Strukturpaket-2018“ ist wieder dem schmalen Budget geschuldet und die Baustellen bleiben offen. Mit der Einsparung bei der Militärmusik unter Minister Klug, schien der Verfall der österreichischen Verteidigungsfähigkeit auf dem Höhepunkt angekommen. Dennoch war Klug überzeugt, dass die Republik „jeden Tag gesichert“ ist. Bestärkt hat ihn die damalige Innenministerin Mikl-Leitner. „Das Bundesheer ist auf der Höhe der Zeit“ befand sie. Wahrscheinlich dachte sie, mit „baulichen Maßnahmen“ kann man nicht nur Flüchtlinge, sondern auch Kritiker abfangen.

Hans Peter Doskozil (SPÖ-2016- 2017), der als Polizeichef seine Lorbeeren für ein hohes Regierungsamt an der Grenze im Einsatz um die Bewältigung der Flüchtlingskrise gesammelt hat, folgte Klug. Er wollte beim Heer die 30-jährige finanzielle Dürre beenden und zog gegen Airbus in den Krieg. Bevor jedoch die Schlacht begann, zog sich Doskozil ins heimatliche Burgenland zurück und machte von dort aus seinem Nachfolger den Vorwurf, dass das Heer noch immer zu wenig Geld hat. Nach Doskozil wurde es auf der Regierungsebene so richtig turbulent.

Stabsunteroffizier Mario Kunasek, der seinen Vorgängern bei der Entscheidung zum 6-Monate-Grundwehrdienst politisches Versagen vorwarf und Doskozil beschuldigte, nur Luftschlösser gebaut zu haben, blieb wenig Zeit an der Spitze des Heeres vergönnt. Sein eigener Parteichef hatte bekanntlich die gesamte Regierung (aus Versehen) in die Luft gesprengt. Brigadier Thomas Starlinger, der nach Kunasek in der Übergangsregierung das Verteidigungsministerium führte, kam in den sechs Monaten seiner Amtszeit die Aufgabe zu, eine Art Leistungsbeschreibung der Verteidigungsminister in der 2. Republik zu verfassen und eine Gesamtnote auszuweisen. Diese Zäsur war, wie man weiß, katastrophal.

Zusammenfassend: Bevor sich die Truppe ihren Aufgaben widmen kann, sagte der Präsident der Unteroffiziersgesellschaft, kommt wieder ein neues Kabinett mit neuen Strukturen. Mit laufenden Evaluierungen und Effizienzanpassungen hat das nichts zu tun. Jeder neue Kabinettschef kommt mit eigenen neuen Vorstellungen. Die Pläne des jeweiligen Vorgängers waren sowieso Blödsinn.

Der Handlungsbedarf, den Thomas Starlinger in seinem umfassenden Bericht „Unser Heer 2030“ aufgelistet hat, ist seit Jahrzehnten bekannt. Und selbst wenn man einige umstrittene Punkte ausklammert, die tatsächliche Umsetzung der entscheidenden Erfordernisse ist nicht am fehlenden Budget, sondern immer am Grundverständnis und an der politischen Kontinuität für das Heer gescheitert. Dafür gab es jede Menge Selbstdarsteller in maßgeblichen Funktionen, die gleichzeitig als brave Parteisoldaten zwar immer das Gemeinwohl in den Vordergrund stellten, im Rückblick aber offensichtlich nie ein Staatsziel verfolgt haben, sondern Parteiprogramme oder – im Extremfall – persönliche Interessen.

Nicht zu vergessen die Vereinsmacht rund um das Bundesheer. „6000 Mitglieder der Österreichischen Offiziers Gesellschaft (ÖOG) kann die Politik nicht ignorieren und lächerlich machen“, sagte Erich Cibulka vor seiner Ernennung zum Präsidenten des ÖOG. Und weiter: „Die Summe aller Mitglieder in Vereinen rund um das Bundesheer geht in die Hunderttausende. Deren Anliegen kann niemand wegwischen, der sich Wahlen zu stellen hat“. Dabei hat der gute Mann noch untertrieben, denn die österreichischen Vereine sind auch im Dachverband Interallied Confederation of Reserve Officers verankert. Da sind wir dann bei einer meinungsbildenden (Militär)Macht von weit mehr als 1 Mio. Mitglieder. Wie schlagkräftig diese Vereinsmacht ist, hat deren Plattform „Wehrhaftes Österreich“ gezeigt als es darum ging, gegen die ihrer Meinung nach parteipolitisch motivierte „Bundesheerzerstörung“ anzukämpfen. 45.000 Unterschriften sammelte die Organisation 2015 für ein „Stopp der Bundesheer-Zerstörung! Für ein sicheres Österreich“. Das sind mehr Unterstützungserklärungen, als fast bei jedem anderen Volksbegehren, mobilisiert werden konnten. Auch wenn seither angeblich weiterhin an der Bundesheerzerstörung gearbeitet wird, die Vereine haben gezeigt, mit ihrer meinungsbildenden Macht ist zu rechnen.

Am 7. Jänner 2020 machte sich die neue Regierung und mit ihr erstmals eine Verteidigungsministerin ans Werk. Sie verwendete Starlingers Kritik als Blaupause für das neue Regierungsprogramm. Aber es dauerte nach der Wahl nur ein paar Monate, bis sich die alten und neuen Kritiker des Bundesheeres vom Schock erholt und realisiert hatten, dass die neue Ministerin Klaudia Tanner, natürlich auch wieder verdiente Parteisoldatin, genau das umzusetzen gedachte, was Starlinger empfohlen hat und nun im Regierungsprogramm niedergeschrieben steht. Anders als bisher, korreliert das Bedrohungsszenario und der davon abgeleitete Entwicklungsplan für das Heer mit einer internalen Sicht auf die Bedrohungsszenarien. Egal ob es die Sicherheitsforschung KIRAS, die Münchner Sicherheitskonferenz, die UNO, NATO oder der eigene Sicherheitsbericht ist, die Reihung der anstehenden Bedrohungen bestimmt den Handlungsbedarf (und den Finanzbedarf). Da bleibt nicht viel Spielraum für politische Spielchen, wenn man der Realpolitik folgt. Und Zeit bleibt auch nicht viel.

Starlinger wollte das Gesamtproblem bis 2030 vom Tisch haben. Wie das mit der österreichischen Mentalität gehen soll, darüber hat sich Starlinger erst gar keine Gedanken gemacht. Das war vielleicht ein entscheidender Fehler in seiner Arbeit. Innerhalb von 10 Jahren haben wir wahrscheinlich wieder fünf Verteidigungsminister, von denen jeder in seiner eigenen Gulaschkanone rührt und bis zu substantiellen Leistungen kaum vordringen kann. Aber das ist nur eine Vermutung, die jedoch auf Erfahrungen der letzten Jahrzehnte beruht. Warum ist das Bundesheer bei der Bevölkerung derart beliebt, dass man trotz aller unglaublichen Malversationen dennoch von einer unverzichtbaren Institution und Teil der österreichischen Gesellschaft spricht? Zwei große Fragen aus der Heeresgeschichte seit Minister Graf bleiben übrig und es soll an dieser Stelle der Versuch unternommen werden eine Beantwortung zu finden.

Die erste Frage ist relativ leicht zu beantworten: Wenn es quer durch alle Kabinette der 2. Republik andauernd schwere Anschuldigungen, bis hin zum Verfassungsbruch gegeben hat, warum wurde niemand bestraft und warum haben die übergeordneten Stellen nicht eingegriffen? Dazu gibt es eine „österreichische Erklärung“: Minister kommen und gehen, Beamte bleiben.

Daneben gibt es noch die Vierte Gewalt im Staate, nämlich maßgeblichen Medien, deren Medienarbeiter praktischerweise auch gleich die Öffentlichkeitsarbeit des Heeres übernehmen. Sie streben keinen Pulitzerpreis an, freuen sich aber über hohe militärische Ehrungen. Wenn sich das viertgrößte Medienimperium Österreichs auch noch mit dem „Ehrenzeichen in Gold mit Stein“ der Offiziersgesellschaft für besondere Verdienste auszeichnen lässt, stellt sich die Frage, ob die Presse tatsächlich das moralische Werkzeug ist, durch welches mehr Korruption vereitelt wird, als durch die Justiz.

Schwieriger ist die Beantwortung der zweiten Frage: Warum ist das Heer in der Gesellschaft trotz aller unglaublichen Vorkommnisse dennoch so beliebt? Selbst wenn man davon ausgehen kann, dass bestellte Umfragewerte die tatsächliche Stimmung beschönigen, so bleiben immer noch genügend Fakten übrig, die die Frage rechtfertigen. Erfolge in der Förderung der Geistigen Landesverteidigung können es nicht sein. Aber 250.000 Besucher beim AirPower, ein Millionen-Publikum beim Nationalfeiertag und Heeresschau, all das kann kein Zufall sein.

Die Erklärung dafür ist, neben dem sicher auch vorhandenen Reiz, der von Kriegsspielen ausgeht, die tiefe Verwurzelung des Heeres in der Gesellschaft – und zwar nahezu auf allen Ebenen. Unzählige Hilfseinsätze, egal ob Lawinen, Schneechaos, Überschwemmungen, Taucheinsätze, Hagel, Muren, Waldbrand, Entminungen, Erdbeben oder Brückenbau, tagtäglich „lebt“ das Heer mitten unter der Bevölkerung und lindert nach Kräften das Leid. Nicht unwesentlich ist die Bedeutung des Heeres für den Spitzensport – ein sinnstiftender Bereich der österreichischen Seele. Unter den derzeit 450 Personen im Förderprogramm des Heeressports sind die künftigen rot-weiß-roten Olympiasieger und Weltmeister. Bestimmt ist auch die kostenlose Führerscheinausbildung für junge Männer seit jeher eine starke Motivation für das Heer. Immerhin, 4500 Rekruten pro Jahr kommen so zu einem LKW/PKW Führerschein. Manche machen auch den Bootsführerschein und selbst wer wie Tom Cruise in Top Gun die Herzen der Frauen erobern möchte, bekommt beim Bundesheer kostenlos das Rüstzeug dafür. Nicht zu vergessen die gesellschaftliche Bedeutung der Militärmusik. Einsparungen in diesem Bereich unter Faymann/Klug haben einen wahrhaften Shitstorm ausgelöst und den Untergang der Blasmusik in Österreich prophezeit. Auch die arbeitsmarktpolitische Bedeutung des Heeres hat einen hohen Stellenwert.

Allein 35 Lehrberufe und unzählige Beschäftigungsmöglichkeiten im Heer, vermitteln in der Bevölkerung den Eindruck eines guten Arbeitgebers. Mit Corona steigt, wie es scheint, die gesellschaftspolitische Bedeutung des Heeres merklich an und man kann getrost davon ausgehen, dass der Trend anhält. Man muss aber gerade in Krisenzeiten aufpassen, dass sich die Wirtschaft unter dem Deckmantel der „Wirtschaftlichen Landesverteidigung“ nicht auf Kosten der Allgemeinheit bedient. Vor diesem Hintergrund wirkt zum Beispiel das Begehren einer großen Handelskette in Tirol etwas eigenartig. Der Konzern hat Soldaten zur Unterstützung für das Zentrallager angefordert und diese auch bekommen. „Wenn unser Bundesheer angefordert wird, unterstützt es dort, wo schnell Hilfe benötigt wird“, rechtfertigt die Verteidigungsministerin den Einsatz von Lagerarbeitern in Uniform und das klingt wie ein Joker für die Wirtschaft.

Gleichzeitig meldet nämlich das AMS-Tirol (1.9.2020) eine Zunahme an Arbeitslosen um 63 % gegenüber August 2019. Dabei stieg gerade in der vom Handelskonzern nachgefragten Branche Verkehr und Lagerei die Arbeitslosigkeit um 82 Prozent (!). Nach typischen Berufen (Handel, Hilfsberufe) liegt die Zunahme an Arbeitslosen bei 49 Prozent. Vielleicht spielt die wirtschaftliche Bedeutung des Bundesheeres also in der „Beliebtheitsskala“ sogar eine besondere Rolle, weil es auch jenen Gesellschaftsschichten nützt, die nicht unbedingt Panzer bei einer Heeresschau besteigen würden. Kanzler Vranitzky hat schon 1987 auf die „nicht unbeträchtliche wirtschaftspolitische Bedeutung“ des Heeres verwiesen und die heimische Wirtschaft und Industrie eingeladen, mehr davon Gebrauch zu machen. Heute liegt die Wertschöpfung in der Heeresbeschaffung nach allgemeiner  Leseart bei rund 70 Prozent.

Für die heimische Wirtschaft und die Industrie ist das Bundesheer also allemal ein guter und verlässlicher Kunde der Arbeitsplätze sichert. Gelegentlich bekommt man sogar den Eindruck, dass die ständigen Forderungen nach immer mehr Budget allein dem Zweck dienen, dass vordergründig die Bedürfnisse der Wirtschaft und nicht die des Heeres befriedigt werden sollen. Und wenn die finanziellen Wünsche ausgerechnet von einem Raiffeisenchef in Heeresuniform gestellt werden, denkt man unwillkürlich an Boni und Renditen. Noch dazu wird ja neuerdings gerne von einer „Marke Bundesheer“ gesprochen und bestimmte Slogans werden gezielt verwendet. Da bekommt der Begriff „Brand“-Management für ein Heer gleich eine ganz andere Bedeutung. Für viele Unternehmen und damit wieder für viele Menschen ist das Bundesheer eben auch ein Markt, der umso beliebter ist, je mehr er abwirft. Solange das Bundesheer nicht am neoliberalen Altar geopfert wird und die Beschaffungskontrolle funktioniert, ist dagegen auch nichts zu sagen. Wer will schon, dass jede Patrone und jeder Stiefel in Krisenzeiten erst im feindlichen Ausland beschafft werden muss.

Anderseits, wenn sich bestimmte Strömungen in der EU durchsetzen, gibt es vielleicht bald einen Heeresbeschaffungsdienst für ganz Europa, angesiedelt in Brüssel. Dann muss unser Bundesheer die Stiefel Bestellung in Brüssel abgeben und hoffen, dass die dann in Österreich bestellt werden. „Die Europäische Union muss sich noch stärker dafür einsetzen, im Verbund der Nationen eigenständig die Sicherheitsaufgaben der Wertegemeinschaft wahrzunehmen. Dabei geht es auch um personelle und materielle Voraussetzungen:  Wir brauchen bessere Kommunikation und EU-weite Standards in Sachen Rüstung und Beschaffung“, meint der EVP-Abgeordnete Manfred Weber. Was der Bayer und CSU Mann, für den Opposition = Gegner bedeutet, genau damit gemeint hat, erklärt die bayerische Volksseele: „Von Bayern gehen die meisten politischen Dummheiten aus. Aber wenn die Bayern sie längst abgelegt haben, werden sie anderswo noch als der Weisheit letzter Schluss verkauft“ (Franz Josef Strauß). (PB)

Quelle: LOGISTIK express Ausgabe 5/2020

 

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